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Himalayasalz - Kritik

Geschrieben von Gesundheit365. Veröffentlicht in Nahrungsmittel

FOCUS Nr. 11 (2002Weißes Gold des Himalaja
Sündhaft teures Kristallsalz, angepriesen als Allheilmittel, ist derzeit der Bestseller in der Esoterik-Szene
Von FOCUS-Redakteur Martin Kunz Wahrscheinlich sei es „eine andere Dimension“, in der sie seit ein paar Monaten lebt, schwärmt die Lehrerin Ingrid Sandhofen aus München. Sie spüre mehr Energie, morgens springe sie voller Elan aus dem Bett – dabei habe sie ihr Leben lang unter Müdigkeit gelitten, erzählt die 63-Jährige begeistert.
Ursache der wundersamen Veränderung ihres Befindens, so glaubt sie, sei Kristallsalz aus dem Himalaja. Es soll laut Werbeprospekt „genau aus den gleichen 84 Elementen, aus denen auch der Mensch aufgebaut ist“, bestehen. Das Zaubermittel testete Sandhofen sogleich an ihrer 88-jährigen Mutter, die – sich ebenfalls verjüngt fühlend – es wiederum ihrer 84- jährigen Freundin empfahl. Alle Geschwister Sandhofens schlucken inzwischen die salzige Substanz, selbst ihre Apothekerin ließ sich vom Salz-Fieber anstecken.
Kettenreaktion. „Das ist ein Riesenboom und breitet sich wie ein Steppenfeuer aus. Wir brauchen dafür gar nicht viel zu tun. Wir sitzen einfach am Telefon, jeden Tag bis nachts“, staunt Robert Löser, Mitinhaber des Salzhäusl, einer Münchner Firma, die seit eineinhalb Jahren Kristallsalz aus den pakistanischen Bergen importiert und weiterverarbeitet. Allein in Süddeutschland seien seit 1999 vier Großimporteure auf den Markt getreten, die jeweils an 100 bis 500 Wiederverkäufer wie Naturkost- und Reformläden, Apotheken, Heilpraktiker oder handelnde Hausfrauen das Kristall weitervertreiben, schätzt Löser. Schon Salzhäusl als Branchenneuling verkauft zirka 50 Tonnen im Jahr. Während ein Kilogramm feinstes Speisesalz im Schnitt 1,20 Euro kostet, zahlen Kristallsalz-Fans zwischen sieben und 25 Euro.
Weil „die Gier mancher Händler“ so groß sei, meint Löser, versteckten sich aber hinter angeblichem Himalaja-Salz oft profane Steinsalze, billige Straßensalze aus polnischen Bergwerken oder Stücke von zerschlagenen Kristall-Lampen.
Hohepriesterin des neuen Kristall-Glaubens ist die Ärztin Barbara Hendel im bayerischen Herrsching. Sie empfiehlt ihren Patienten, jeden Morgen einen Cocktail aus 26- prozentiger Salzlauge und Quellwasser auf nüchternen Magen zu trinken. Das Credo der zutiefst überzeugten Sole-Konsumenten: Das übliche Koch- oder Speisesalz sei Gift, die Kristalle aus den asiatischen Salzhöhlen hingegen Allheilmittel für körperliche und seelische Gebrechen aller Art.
„Mit der Sole kann man sich genau das Schwingungsmuster vermitteln, das unserem Körper bei Krankheit fehlt“, predigt Hendel. Die „Frequenzmuster“ des Kristallsalzes entsprächen „denen unseres menschlichen Körpers“ und könnten diesen deswegen bei Krankheit „in den ursprünglich ausgeglichenen Zustand zurückführen“. Diese „hohe energetische Qualität“ sei messbar. Außerdem seien die 84 Elemente durch die „Kompression der Berge so klein geworden, dass sie in die Zelle aufgenommen und damit verstoffwechselt werden können“.
Urheber der durch keinerlei nachweisbare Fakten belasteten These ist Peter Ferreira, der sich als Biophysiker ausgibt. Vor drei Jahren hatte er mit Vorträgen, Seminaren und Hörkassetten die ersten Anhänger um sich geschart. 2001 stieß Hendel dazu, mit der er das Buch „Wasser & Salz“ schrieb, von dem seit Herbst letzten Jahres 80000 Exemplare verkauft wurden. Das den Anschein der Wissenschaftlichkeit suggerierende Kapitel „Forschungsergebnisse“ beinhaltet ein „Zusammenfassendes Analysezertifikat“ des Institute of Biophysical Research, Las Vegas/Nevada. Kontakt zu diesem Ins-titut zu finden ist ebenso unmöglich wie zum Institut für biophysikalische Forschung in Teisendorf/Bayern, unter dem Ferreira noch im Herbst 2001 firmierte. An der Einschätzung, dass es sich um Scheinlabors handle, „ist etwas dran“, gesteht Hendel ein, auch wenn sie „dazu eigentlich nichts sagen will“.
Genau aus diesem Grund sei sie derzeit auf der Suche nach einem biophysikalischen Institut, um „jetzt alles auf ganz seriöse Beine zu stellen“.
Gesalzene Preise. Sehr präsent hingegen sind der mit Ferreira kooperierende Salzhandel-Vertrieb, das Landkaufhaus Mayer, und dessen Importeur Lichtkraft GmbH. „Wir vertreiben das Salz für Ferreira“, so die Auskunft am Telefon. In-sider schätzen den Umsatz der Firma auf 50 Tonnen monatlich. Der Endverbraucher zahlt für das Kilogramm 25 Euro.
Woraus das „weiße Gold“ aus dem Himalaja tatsächlich besteht, können die Kristallsalz-Verfechter genauso wenig belegen wie seine wundersamen Wirkungen. Ernährungsexperten halten die Idee, die „84 Elemente“ – die dem Körper sowieso durch eine gesunde Ernährung zugeführt werden – über das Himalaja-Salz aufzunehmen, für völlig abwegig. Das sei etwa so sinnvoll, als wolle man dem Körper alle wichtigen Vitamine über Ketchup oder Senf zuführen.
Rainer Rettig, Physiologe und Salz-Experte an der Universität Greifswald, widerspricht auch anderen Argumenten: „Wenn Ferreira sagt, der Körper müsse höchst strukturiertes Zellwasser opfern, um das gewöhnliche Kochsalz zu neutralisieren, weil sonst die entwässerten Körperstellen absterben, so ist das Unsinn.“
Naturwissenschaftler vermögen auch nicht dem festen Glauben des Arbeitskreises Wasser und Salz zu folgen, „feinstoffliche Informationen“ seien in den Kristallen verborgen. Salz hat demnach „die gleiche Frequenz wie der Mensch, nämlich genau 7,83 Kilohertz, das ist auch der Pulsschlag der Erde, die so genannte Schumann- Frequenz“. Das Kristallsalz, so lernten die Mitglieder des Arbeitskreises bei Ferreira, hebe aber nicht nur durch seine „Schwingungen“ das Bewusstsein, sondern erledige neben der metaphysischen auch ganz profane Arbeit: „Sole ist wie Waschpulver. Sie löst den Schmutz vom Körper.“
Für Antworten steht Ferreira selbst nicht zur Verfügung. Er ist zurzeit nicht auffindbar. Er wechsle ständig seine Telefonnummern, weiß Ex-Mitstreiterin Hendel, und gründe wahrscheinlich gerade ein Zentrum. Nicht im Himalaja, sondern auf den Fidschi-Inseln.